Länderkontext Südkorea

Autor: Ulrich Seidl

Korea ist vermutlich das konfuzianischste unter allen asiatischen Ländern, obwohl ja die Wurzeln des Konfuzianismus in China liegen. Er prägt seit vielen Jahrhunderten die asiatische Kultur und Gesellschaft und beeinflusst den Alltag in China, Japan, Singapur, Vietnam, Taiwan und eben besonders stark in Korea. Die mir bekannten Werte des Konfuzianismus sind Respekt vor Autorität und Alter, Verehrung der Eltern und Ahnen, Gehorsam, Freundlichkeit, harte Arbeit und gegenseitige Hilfe. Mit einigen dieser Werte kommt man in Berührung, sobald man das Land betritt. Bei der Begrüßung geht der Kopf tief nach unten und beim Chef oder bei älteren Personen wird die linke Handfläche während des Händedrucks am rechten Arm angelegt. Dieses Ritual ist auch üblich beim Essen, wenn man das Glas erhebt. Je höher der Chef, desto höher geht die linke Handfläche am rechten Arm nach oben. In Bezug auf die Verehrung der Eltern und was die Koreaner darunter verstehen, kann ich das am besten am Beispiel eines alten Freundes, Du Ill, erläutern: Dieser sieht sich noch heute verpflichtet, seine Eltern finanziell zu versorgen bzw. das wieder zurückzugeben, was ihm seine Eltern während seines Studiums in Deutschland mit anschließender Promotion zukommen ließen. Ich treffe ihn noch recht regelmäßig und einmal erzählte er mir, dass er ein neues Auto für seinen mittlerweile 80-jährigen Vater gekauft habe. Für ihn war das eine Selbstverständlichkeit und ich weiß, dass er noch einige von seinen Geschwistern monatlich mit Geld versorgt. Das ist die gegenseitige Hilfe nach guter konfuzianischer Art.

China hat sich, obwohl es Ursprungsland des Konfuzianismus ist, im Vergleich zu Korea ganz anders entwickelt. Der Individualismus hat es heute fest im Griff. Nach all den Revolutionen und Unruhezeiten samt einer brutalen „Kulturrevolution“ ist das Wichtigste für die modernen Chinesen das eigene Wohl, der Staat und die Gesellschaft spielen keine Rolle mehr. In Korea arbeitet man für eine Firma und setzt sich für sie ein. Die Mehrheit der Chinesen in China hat keinen persönlichen Bezug zum Arbeitgeber, bei dem sie in Lohn und Brot stehen – ob sie in dieser oder in jener Firma arbeiten, ist ihnen egal.

Der Wohlstand in Korea und in anderen asiatischen Ländern hat sich mitunter aus der konfuzianischen Lehre entwickelt. Wie hart Koreaner arbeiten, ist bekannt, sie geben ihr Letztes, um den eigenen Wohlstand und den der Firma zu erhalten bzw. zu mehren. Besonders im internationalen Anlagengeschäft ist das zu beobachten. Koreanische Firmen wie Daelim, Hyundai, LG oder Hanwah, um hier nur einige wenige zu erwähnen, spielen immer vorne mit. Die gehen mit Anlagenpreisen in die Runde, die alle anderen Anbieter überrascht. Kein Wunder, denn die Koreaner sitzen, wenn nötig, auch noch bis Mitternacht im Büro. Sie geben alles, um die niedrigen Margen (Gewinnspannen), mit denen man Geschäfte an Land zieht, weiter zu verbessern.

Koreaner besitzen einen auffälligen Nationalstolz und daher rührt auch ihr ausgeprägter Hang, die eigene Wirtschaft zu unterstützen. Außerhalb von Korea ins Geschäft zu kommen, ist deshalb recht schwierig. Die lokale Wertschöpfung wird außerdem gezielt vom koreanischen Staat unterstützt.

Aber zurück zum Konfuzianismus. Durch den Kapitalismus entsteht leider seit einiger Zeit eine gewisse Doppelmoral in Korea, die man insbesondere beim Umgang mit älteren Menschen vermehrt wahrnehmen kann. Das, was mein alter Freund Du Ill für seine Eltern tut, wird wohl in Zukunft in Korea wie überall langsam verschwinden. Noch findet man hier jedoch eine Gesellschaft vor, die sich, wenn nötig, auch mal gemeinsam für das Wohl des Landes mobilisiert. Als Reaktion auf die Asienkrise der Jahre 1997 und 1998 sollen viele Koreaner sogar ihre Eheringe geopfert haben.



Ulrich Seidl




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